Fragt man mich, woher der desolate Zustand der Kirche rührt, der deutschen besonders, aber auch der europäischen insgesamt, so schiebe ich die Schuld gerne dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die Schuhe. Nicht nur dem Konzil, aber dem Konzil an erster Stelle. Ich gebe zu: Ich mag das Konzil nicht übermäßig - ich mag nicht diese aufgeblähten, redseligen dahinschwafelnden Dokumente. Ich mag nicht deren oft eingebaute Euphorie, ich mag nicht, wenn mich in Gotteslob-Andachten Konzilstexte zur Besinnung bringen wollen: "Das Zweite Vatikanische Konzil sagt ..." (786, 1). Dieses Konzil soll, soviel subjektive Meinung nehm ich mir heraus, die Klappe halten. Meine Wertschätzung einer sogenannten Liturgiereform hält sich sowieso stark in Grenzen. Eigentlich ist es mir Jacke wie Hose, ob eine Fehlentwicklung unmittelbar dem Konzil zu verdanken oder "nur" eine Ausgeburt des berüchtigten Konzilsgeistes ist. Denn auch dieser Geist wurzelt im Konzil, in diesem blöden Aufbruchstaumel, in diesem unsäglich mehrdeutigen Pastoralgeblubber, in diesem bescheuerten sich der Welt in die Arme Schmeißen, in diesem beknackten aggiornamento. Für mich war, entweder, der Heilige Geist während des Konzils irgendwo auf Urlaub oder der Herr der Geschichte bedient sich einmal mehr schwer durchschaubarer Züge, um die Heilsgeschichte voran zu treiben. Gottes Wege sind unergründlich ...
Natürlich war früher keineswegs alles besser. Ecclesia semper reformanda, die Kirche bedarf allzeit der Erneuerung. Vor einigen Tagen hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem älteren Priester über Sinn und Unsinn des Konzils. Seine Seminarzeit erlebte der Geistliche noch vor besagter Veranstaltung und wußte zu berichten, daß bereits damals vieles im Argen lag, weswegen man das Konzil keinesfalls als Ursache aller Übel betrachten dürfe. Schon vor dem Konzil habe die Disziplin im Klerus nachgelassen, habe ein zunehmendes laissez faire in den Priesterseminarien Raum gegriffen, habe man häufig - und damit ist nicht zuletzt die Liturgie gemeint - an Formen festgehalten, deren Inhalte zunehmend an Bedeutung verloren hätten. Das mag so sein, ich will das nicht bestreiten.
Die Form! Stramme Konzilsverteidiger formen daraus gerne einen Kampfbegriff: den Formalismus, den das Konzil aus der Welt schaffen wollte. Und was galt nicht alles am Vorabend des Konzils - und gilt bis heute - als formalismusanfällig! An vorderster Front die Liturgie. Weg von diesen akribischen Regelungen, den Rubriken, den Doppelungen, den fehlgeleiteten fränkischen Einflüsterungen einer archäologisch verherrlichten römischen Stadtliturgie. Unter den Talaren Muff von tausend Jahren. Ein echter Aufbruch zur Freiheit des Gottesvolkes schien, eingezwängt in die Form, irgendwie unvorstellbar. Zwischenzeitlich mieft unter den Sackalben mächtig die Variante der 68er.
Ich frage mich: Wenn es um die Inhalte schon nicht gut bestellt ist, tut man dann gut daran, auch noch die Form in die Tonne zu kloppen? Was bleibt am Ende übrig? Das, was wir heute sehen: eine Erosion des Glaubens, infolge derer Kinder bei der ersten heiligen Kommunion nicht mehr zur Vereinigung mit dem Herrn im heiligen Altarsakrament angeleitet werden, sondern auf "heiligem Brot" rumkauen. Infolge derer bei der Taufe nicht mehr die Erbsünde abgewaschen, sondern der Täufling in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen wird. Infolge derer das Evangelium zwar schon irgendwie verbindlich, das Gewissen aber viel autonomer ist. Infolge derer Maria nicht mehr die mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommene Fürsprecherin ist, sondern "unsere Schwester" oder das "Mädchen, du, in Israel". Solch garstige Litanei ließe sich fortsetzen.
Früher war sicher nicht alles besser, aber etwas hat man früher eindeutig besser gemacht: Die Kirche hat nicht die Formen eingerissen, sondern sich bemüht, die Inhalte wieder neu zu entdecken. Und sie hat die Form geschätzt als Schutz, als Panzer für die Inhalte. Denn selbst wenn diese zeitweilig den Bach runter gingen, so wahrte dennoch die Form einen Bestand, den innerkirchlich kaum jemand in Zweifel zu ziehen wagte. Formen retten das Glaubensgut über glaubensarme Zeiten hinweg, bis ein echter Aufbruch, eine tiefgreifende Besinnung die Kongruenz zwischen Form und Inhalt wieder neu herzustellen vermag. Das ist sodann echte Reform - anstelle der nachkonziliaren tabula rasa.
Wer, wie ich, selbst die Erfahrung gemacht hat, daß die eigene Glaubensbiographie nicht immer so geradlinig ist, wie sie sein sollte, der ist vielleicht auch dankbar für die Form und die Formen, welche auch über die Zeiten einer geistlichen Verwahrlosung hinweg ein Minimum an religio bewahrt haben. Ich mag Formen, nicht zuletzt als Panzer, dieses Panier für den Inhalt. Ohne diese "Formen" wäre mein Glaube wahrscheinlich schon längst beim Teufel.
2 Kommentare:
Ich auch! Danke für diese guten Worte, du sprichst mir ganz aus dem Herzen. Danke!
Mir, ehrlich gesagt, nicht.
Wenn ich dich richtig verstehe, hättest du gern die Entwicklungen des Konzils alle rückgängig gemacht, die Formen der vorkonziliaren Liturgie wieder zurück und überhaupt die Hinwendung zur Welt?
Aber ist eine "Verheutigung" des Glaubens und seiner Verkündigung nicht der einzige Weg, den Menschen das Evangelium, die Frohe Botschafz zu verkünden? Ästhetik, Formen und Gebräuche sind doch alle nur ein Weg, dies zu tun. Und die können unterschiedlich sein.
Und ich möchte mir nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn es das Konzil nicht gegeben hätte, wie dann die Kirche heute aussehen würde.
Schön und gut ist die Rede vom "Heiligen Rest", aber müssen nicht Wege gefunden werden, allen (!) Menschen von IHM zu erzählen?
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