Ich dachte mir bereits, daß meine "Gleichsetzung" von Konzil und Konzilsgeist auf Widerspruch stoßen könnte. Obermini hat sich zu Wort gemeldet. Ich bin dankbar dafür, da somit zum einen womöglich die Diskussion in die Gänge kommt, und ich zum anderen heute dachte, daß man eine solche Meinung vielleicht doch etwas ausführlicher begründen sollte. Oberminis Einwand:
Konzilsgeist - Konzil. Ist das wirklich kein Unterschied? Konzilsgeist hat sich doch vor allem bei denen eingestellt, die nicht am Konzil teilnahmen. Und die wenigsten von ihnen haben die Dokumente mit all ihren Feinheiten gelesen. (Ich auch nicht. Sie?) Dieser Konzilsgeist speist sich also vor allem aus dem, was die Laien von dem Konzil mitbekamen, und das war (wie auch von Kritikern gerne angeführt) nicht immer das, was in den Dokumenten auch wirklich stand. (Bestes Beispiel: Latein als Hauptliturgiesprache in Sacrosanctum Concilium) Eine Trennung wäre also allein schon deswegen angebracht, um zu verstehen, mit was da eigentlich gehadert wird ...In den von Obermini erwähnten Konzilsdokumenten liegt meines Ermessens die crux der ganzen Geschichte. Auch würde ich den Konzilsgeist nicht als Folgeentwicklung in der Laienschar betrachten. Der Klüngel "reformorientierter" Kräfte auf dem Konzil war gewieft genug, um die Folgen seines Tuns absehen zu können. Im "Konzilsgeist" öffnet sich der Entfaltungshorizont für all jenes Tun und Trachten, welches man während des Konzils noch unter der Decke hielt.
Der von mir bereits erwähnte Otto Hermann Pesch (ein Progressist bis ins Mark) beschreibt in seinem Buch Das zweite Vatikanische Konzil sehr ausführlich die Entstehungsgeschichte einiger Dokumente ... und man sollte bei dieser Gelegenheit nicht vergessen, daß sämtliche Texte, die zuvor von der Kurie vorbereitet worden waren, durch ein pressure-group-ähnliches Eingreifen vor allem westlicher Bischöfe und Cliquen vom Tisch gewischt worden waren.
Zurück zu Pesch. In dessen Darstellung liest sich die Genese der Konzilstexte, grob vereinfacht, so: Nachdem die scholastisch geprägten Vorlagen der Kurie aus der Welt waren, ging man daran, Texte zu kreieren, die - zumindest im Selbstverständnis der "Reformer" - echte Antworten auf Zeitfragen geben und den Graben zwischen Kirche und Welt zuschütten helfen sollten. Solch revolutionäres Ansinnen war allerdings nicht ganz so einfach umzusetzen. Konzessionen an die Konservativen und die Gemäßigten waren notwendig - schlimmstenfalls schaltete sich angelegentlich (was Pesch mit gewissem Bedauern vermerkt) Paul VI. quasi per ordre mufti unter dem Druck konservativer Kräfte in die Textredaktion ein. Das gesamte Werden der Konzilstexte war, vor allem bei besonders hitzig umstrittenen Dokumenten, ein work in progress, bis letztendlich eine mehrheitsfähige Fassung vorlag.
Für die "Reformer" war das, so sehe ich das zumindest, einerseits ein großer coup, denn es war ihnen gelungen, ihre Gedanken, ihre Themen, ihre Thesen: ihre Texte im Konzil zu platzieren. Andererseits mußten sie - etwa in Form diverser traditioneller Formulierungen - Zugeständnisse an jene Mehrheit der Bischöfe machen, die für Totalreformen (noch) nicht zu haben waren. Ich unterstelle hier den "Reformern" (die das Konzil wie keine andere Gruppe prägten), daß sie die Dokumente nicht als Schlußpunkt, sondern vielmehr als Anfang für einen weitreichend angedachten kirchlichen Umbau betrachteten und betrachten.
Was auf dem Konzil als ungeliebtes Entgegenkommen an die andere Seite mit hineingeschrieben werden mußte, sollte nach dem Konzil einfach durch die eingeleiteten Entwicklungen überrollt werden. Und so ist es ja auch gekommen, wie zum Beispiel gerade der von Obermini angebrachte Hinweis auf "Latein als Hauptliturgiesprache" zeigt. Den "Reformern", die ihre Vorliebe für lateinfreie Liturgien ja nicht erst auf dem Konzil entdeckt hatten, war klar, daß sie mit der Möglichkeit, den Landessprachen in der Liturgie größeren Raum zu gewähren, der lateinischen Sprache das Grab schaufeln würden. Und nochmals: So ist es ja auch gekommen, (wenige) Ausnahmen bestätigen die Regel. Noch ein Beispiel? Der bereits vorkonziliar - mitunter am Rande kirchlicher Legalität - experimentierfreudigen liturgischen Bewegung (die wichtigste Stichwortgeberin der Liturgiekonstitution) war ebenfalls klar, daß sich die Zelebranten, offiziell von der Last des Lateins befreit, auch der Last der Rubriken und Vorschriften zugunsten des Experiments und der nun möglichen Kreativität entledigen würden. Das konnte man natürlich keineswegs in die Liturgiekonstitution hineinschreiben, aber man konnte schon einmal die Tür in jene Richtung öffnen, in die später marschiert werden sollte. Und wiederum: So ist es ja auch gekommen. Noch ehe - ein weiteres Beispiel - in Deutschland das gerade approbierte neue deutsche Meßbuch 1975 offiziell eingeführt wurde, lag eine einst ehern geglaubte liturgische Disziplin bereits in Trümmern.
So sind wir jetzt an jenem Ort angekommen, wo Konzil und intendierter "Konzilsgeist" kaum mehr zu trennen sind. Wenn heute noch immer gerne von einem "konziliaren Prozeß" die Rede ist, dann meint das nicht mehr und nicht weniger, als daß die "Reformer" ihr Werk vom Boden des Konzils aus - über das Konzil hinaus - bis heute fortzusetzen trachten, daß sie auch das realisieren wollen, was auf dem Konzil noch nicht realisierbar war, in den Dokumenten aber in nuce bereits enthalten ist. Dazu wiederum ein Beispiel: Die für Otto Normalkathole vordergründig harmlose, konziliar postulierte Kollegialität der Bischöfe führte zu einem gewaltigen Autoritätsverlust des Heiligen Vaters in der Weltkirche. Auf diesem Hintergrund wurde zum Beispiel ein Skandalon wie die "Königsteiner Erklärung" erst möglich, als eine Horde pflichtvergessener Bischofsmützen ihre frisch gewonnene "Souveränität" nach Kräften auskostete: gegen eine Enzyklika!
Das Perfide: Ob "konziliarer Prozeß", ob Konzilsgeist - beides sind keine unabhängigen Größen im kirchlichen Leben, sondern in der Tat Früchte des Konzils, Früchte einer Taktik, derer sich die Reformer meiner Meinung nach absichtsvoll bedienten und die man von konservativer Warte durchaus als Fehler im System betrachten kann - nachdem man sich von den "Reformern" ordentlich hat übertölpeln lassen.
Nicht zuletzt spricht auch eine formale Beobachtung dafür, daß Konzil und Konzilsgeist letztlich zwei Seiten einer Münze sind: Die Konzilsdokumente vermeiden es konsequent, ihre Verbindlichkeit zu thematisieren. Solche Verbindlichkeit war überhaupt nicht gewollt, weil man bei klaren (!) und/oder widerspruchsfreien (!) Ansagen gerade nicht das treiben könnte, was die Reformer intendierten: Eine dicke Schwallschwarte zu schaffen, auf die man sich bei Bedarf berufen und die man bei Bedarf auch ignorieren kann. So aber wurde das Konzil, wurden die Konzilstexte noch in ganz anderer Weise als oben beschrieben zu einem work-in-progress, mit dem die "Reformer" von gestern und deren Wiedergänger heute ihr Werk fortsetzen - dem implementierten "Konzilsgeist" sei Dank.
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