Donnerstag, 22. Juli 2010

Meine Lieblingsnonne in der Oper: Suor Angelica



Da es auf dieser Seite sowieso gerade sehr musiktheatralisch zugeht ... möchte ich noch eine meiner Lieblingsopern in die Runde werfen: Suor Angelica von Giacomo Puccini - eine weitere sterbende Nonne auf der Bühne. Der 1918 an der MET uraufgeführte Einakter bildet das Mittelstück einer als Il trittico bekannten Zusammenstellung von drei Kurzopern.

Mit Suor Angelica haben selbst Puccini-Fans hin und wieder Probleme, bis hin zu Michael Klonovsky, der den Meister sonst mit Hauen und Stechen verteidigt. Selbst er äußert gewisse Vorbehalte gegenüber der Finalszene dieses Werkes - also genau jener vier, fünf  Minuten wegen, derentwegen ich Suor Angelica ganz besonders liebe (wenngleich mir die Partitur von der ersten bis zur letzten Note eine Kostbarkeit ist).

Worum geht's überhaupt? Eine junge Adelige wird ob eines unehelichen Sohnes von ihrer Verwandschaft in ein Kloster gewiesen. Als Schwester Angelica nimmt sie diese Bestimmung an und übt sich fortan in Frömmigkeit. Eines aber läßt sie nicht los - der Gedanke an das Kind, das ihr sofort nach der Geburt entrissen wurde. Ihre Mutterliebe kann sie nicht verleugnen, ihre Sehnsucht nicht unterdrücken. Von Kind und Familie hört sie nichts, bis eines Tages eine Tante das Kloster aufsucht. In herrischem Ton fodert sie von der Nonne das Einverständnis in einige testamentarische Regelungen. Ehe Schwester Angelica zustimmt, besteht sie darauf, zu erfahren, was aus ihrem Sohn geworden ist ... und erfährt, daß der Knabe bereits in jungen Jahren verstarb. Nun ist sie zwischen dem Schmerz, daß ihr Kind ohne Mutter sterben mußte, und der Hoffnung, daß es nun ein Engel im Himmel ist, hin und her gerissen.

Nach dem Abendgebet bleibt sie allein im Klosterhof zurück. In Sehnsucht nach ihrem Kind braut sie sich ein Gift aus den Kräutern des Klostergartens. Nachdem sie den tödlichen Trank verkostet hat, wird sie sich ihrer Situation bewußt. Sie hat sich selbst den Tod gegeben und wird in Verdammung sterben. In ihrer Not fleht sie die Mutter Gottes um Gnade an: Madonna, salva mi! ... "durch meine Liebe zu meinem Sohn".


Die originalen szenischen Anweisungen sehen ein veritables Wunder auf der Bühne vor - Maria erscheint mit Angelicas Kind an der Hand. Spätestens jetzt ahnt man, warum die Oper mal mehr, mal minder unter Kitschverdacht gestellt wird. Bei der obigen Produktion aus der Met mit Barbara Frittoli in der Titelrolle hat man, denke ich, eine elegante Lösung gefunden, ohne das Werk (was heute gerne gemacht wird) gegen den Strich zu bürsten.

Auch musikalisch ist die Fachwelt mit diesem Finale unzufrieden, zeigt sich befremdet über die in der kompositorischen Faktor sehr (aufgesetzt?) appellativen Anrufungen aus der Lauretanischen Litanei, die in den Hymnus O gloriosa virginum münden, der seinerseits den Gestus eines Marsches in sich trägt.

Auf mich wirkt das, wenn ich dieses eher der Gegenwart verhaftete und militärische Bild gebrauchen darf, wie eine Art göttlicher "Intervention": Da wird so manches, was in der Biographie aller Beteiligten schief gelaufen ist, radikal zurecht gerückt. Da sich die Menschen aus ihren Verstrickungen selbst nicht befreien können, wird die erflehte (!) Erlösung gewährt, radikal - sie bricht quasi in die Menschenwelt ein.

Es ist übrigens interessant, daß der Text an dieser Stelle auf den Hymnus O gloriosa virginum, der in den Marienoffizien des Breviarium hin und wieder auftaucht, zurückgreift. Das ist keineswegs die nächstliegende Wahl, auch wenn Puccini aus einer Kirchenmusikerfamilie stammte und um fast selbst Kirchenmusiker geworfen wäre. Ich denke aber, daß dieser Text mit Hintersinn gewählt wurde:
O herrliche Jungfrau,
hoch erhoben in die Sterne,
der dich erschuf, den nährtest Du
als Kind an deiner Mutterbrust.
Die unterschwellige Botschaft: Du, Maria, weißt um die Freuden einer Mutter. Vergiß nicht die arme Schwester Angelika, die diese Freuden nicht verkosten durfte ...

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