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Gnadenstuhl
Deckenfresko, St. Georg, March-Buchheim |
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Bei Theodor von Summa Summarum dreht sich ein Eintrag um die rechte Übersetzung der Konsekrationsworte - Christus, hingegeben "für viele" oder "für alle"? Die Praxis, in der deutschen Version des ordentlichen römischen Ritus pro multis mit "für alle" wiederzugeben, hält Theodor für sachlich gerechtfertigt. Ich sehe das anders - nicht nur, weil der Heilige Stuhl in diesem Fall eine möglichst urtextnahe Übersetzung anstelle einer interpretierenden Nachempfindung wünscht (auch wenn dies den deutschen Bischöfen herzlich egal zu sein scheint). Ich denke, es gibt Gründe, warum "für viele" (ὑπὲρ
πολλῶν wie etwa in Mk 14,24) eben nicht notwendigerweise "alle" sind.
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Ein schlichtes, gleichwohl nicht von der Hand zu weisendes Argument besteht natürlich noch immer darin, daß Christus, hätte er "für alle" sagen wollen, dies auf Aramäisch, Hebräisch, Griechisch, Lateinisch und in so ziemlich jeder anderen semantisch halbwegs ausdifferenzierten Sprache hätte sagen können. Hat er aber nicht. Und die philologischen Erwägungen, die ein Exeget wie Joachim Jeremias zugunsten einer Übersetzung "für alle" geltend macht, sind zwischenzeitlich hier hinreichend gewürdigt und als unzureichend qualifiziert worden. ---
Es gibt aber einen mehr noch in die Tiefe greifenden Grund, warum die Übersetzung "für alle" falsch ist. Sie schließt an die Mysterientheologie Odo Casels OSB an.
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Vorab: Gottes allgemeiner Heilswille ist unbestritten. Gott hält allen Menschen das Heil bereit. Daß alle Menschen zu seinem Reich geladen und berufen sind, ist ein zentraler Aspekt der Verkündigung Jesu. Wohlgemerkt: der Verkündigung. Schon hier ist zu beachten, daß Gott zwar das Heil aller Menschen will, aber keinen Menschen gegen dessen Willen zu diesem Heil zwingt. Alle sind geladen, doch kommen "müssen" nur die, seien es nun viele oder wenige, die auch wollen. Das Reich Gottes wird - zumindest soweit der Mensch gefordert ist, dazu etwas beizutragen - letztlich auch nur aus jenen "mit"-erwachsen und von jenen "mit"-erbaut, die das wollen, seien es nun viele oder wenige. Und auch nur diesen wird es zuteil. Nun wissen wir aus der Verkündigung Jesu, daß nicht alle dieser Einladung Folge leisten werden - nicht alle gelangen zum Heil, nicht alle bauen am Reich Gottes mit, nicht allen wird es zuteil.
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Das hat Folgen für die um den Altar zum Opfer Christi versammelte Kirche. Die Messe ist in ihrem Kern nicht bloße Verkündigung des Heilswillens Gottes. Die Heilige Messe, die Feier der Eucharistie, ist weitaus mehr: Sie ist, im (Sieges-) Zeichen des Kreuzes, die Vergegenwärtigung des geopferten, auferstandenen, erhöhten und verklärten Herrn und mithin ein Moment der konkreten Realisierung dieses Reiches in unserer Zeit, in unserer Mitte. Für einen menschlich "kurzen" Augenblick dürfen wir bereits teilnehmen an einer neuen Schöpfung. Durch Ihn, durch Christus, mit Ihm und in Ihm wird dem Vater im Heiligen Geist die Ehre: Und ER ist dann bei uns, wahrhaft, wirklich, wesenhaft, Er, "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der gesamten" neuen (!) "Schöpfung, den in Ihm wurde alles geschaffen, im Himmel wie auf Erden, das Sichtbare wie das Unsichtbare, seien es Throne oder Hoheiten oder Gewalten oder Mächte: Alles ist durch Ihn auf auf Ihn hin erschaffen. Er ist vor allem und alles hat in ihm seinen Bestand. Er ist das Haupt des Leibes: der Kirche - Er, der von Anfang ist, der Erstgeborene von den Toten" (Kol 1, 15-18). Genau so, wie Paulus hier die Versöhnungstat Christi preist, verhält es sich unter den unscheinbaren Zeichen von Brot und Wein, Gottes Reich wird in der Feier der heiligen Geheimnisse lebendig.
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Diese Manifestation des Reiches Gottes in unserer Zeit betrifft - im Augenblick ihrer Realisation - eben nicht alle Menschen, weil sowieso nicht alle daran teilhaben wollen. Alle sind eingeladen. Aber nur denen, welche die Einladung annehmen, wird Gottes Reich auch zum Erbe. Deswegen sprechen die Konsekrationsworte, in deren Folge dieses Reich unter und für uns in der Realität des Mysteriums bereits gegenwärtig wird, davon, daß Christus "für viele" sich hingibt: Für viele: jene, die bereits jetzt am Reich Gottes teilhaben, jene, die geistlich um jenen einen Altar versammelt sind, an dem unsere "irdischen" Altäre Anteil haben (vgl. dazu das Gebet Supplices te rogamus im Römischen Kanon).
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Wäre der "Einsetzungsbericht" (um dieses liturgische Unwort auch einmal zu erwähnen) nur eine Erzählung im Verlauf der Feier, dann wäre er fürwahr bestenfalls Bestandteil einer Verkündigung. Dann könnte man angelegentlich auch den allgemeinen Heilswillen Gottes zur Sprache bringen. Dann könnte man davon berichten, daß der Herr sein Blut "für alle" vergossen habe. Dann wäre die Heilige Messe aber nicht mehr als ein protestantisches Abendmahl. Wenn aber die Konsekrationsworte ein Geschehen bezeichnen, einen Vollzug, der sich zeitlich und räumlich konkret manifestiert, dann ist es naheliegend, daß eben nicht, man entschuldige die etwas saloppe Ausdrucksweise, Hinz und Kunz und alle Welt angesprochen wird, sondern exklusiv jene, an denen etwas vollzogen wird. Jene, die wollen, daß an ihnen etwas vollzogen wird. Der Individualität des Geschehens entspricht dann eine Begrenzung der Angesprochenen.
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Nochmals: "für alle" ... "für viele" ...? Wo nicht nur "die Reichweite des Erlösungswerkes Christi" (Theodor auf Summa Summarum) betont werden soll und der Kern dieses Geheimnisses nicht nur verkündigt, sondern auch berührt wird, da werden im Letzten auch nur die angesprochen, die sich von diesem Geheimnis berühren lassen: Ihnen gilt das Wort des Herrn: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe" (Joh 15, 15). Für sie hat sich der Herr hingegeben. Und mit ihrer eigenen Hingabe helfen sie, das Reich Gottes in Demut zu vollenden. Mögen auch wir zu diesen Vielen zählen.