Sonntag, 2. August 2009

Das geschenkte Gesetz

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Unter uns ... Nummer 118 gehört für mich eigentlich nicht gerade zu den top ten des Psalters. Der mag ja ganz kunstvoll gebaut sein. Die Zürcher Bibel beispielsweise verrät:

Dieser Psalm baut sich im Grundtext ... auf dem hebräischen Alphabet auf. Die Anfangsbuchstaben der 22 Strophen ergeben zusammengereiht das hebräische Alphabet. Ausserdem beginnen jeweils alle acht Verse einer Strophe mit dem gleichen Buchstaben.

22 Strophen. Stöhn! Da geht's die ganze Zeit um das Gesetz des Herrn und die Ordnungen des Herrn und die Gebote des Herrn und die Vorschriften des Herrn und die Satzungen des Herrn und daß man die alle liebt und ehrt und daß es einem trotzdem dreckig geht und daß der Herr doch dies und jenes unternehmen soll und so weiter und so fort. 22 Strophen! Hätten 22 Verse nicht auch gereicht? Psalm 116 braucht für seinen Laudate-Rundumschlag unter Einbezug aller Völker und Nationen gerade mal zwei Verse.

Und die Kirche drückt dem Christenmenschen im Brevier ("außerordentlicher Ritus") diesen Psalm an jedem Sonntag und an jedem höheren Feiertag auf's Auge: Ostende mihi, Domine, viam statutorum tuorum. Und dieser Weg seiner Satzungen, den der Herr uns weisen soll, ist sehr lang. Er erstreckt sich von der Prim über die Terz und die Sext bis zur Non.

Jetzt flatterte mir jüngst ein Dokument der Päpstlichen Bibelkommission ins Haus: Bibel und Moral. Biblische Wurzeln des christlichen Handels. Ich hab mal die Nase reingehalten, und schon ziemlich am Anfang ist mir folgender Passus aufgefallen:

Wir möchten sofort zwei Grundideen einführen, die wir später genauer ausführen werden: 1. Die Moral, ohne weniger wichtig zu sein, steht an zweiter Stelle. An erster Stelle steht und grundlegend ist die Initiative Gottes, die wir theologisch im Begriff ‚Geschenk‘ ausdrücken werden. In biblischer Sicht wurzelt die Moral im vorausgehenden Geschenk des Lebens, der Intelligenz und des freien Willens (Schöpfung) und vor allem in dem völlig unverdienten Angebot einer bevorzugten, inneren Beziehung des Menschen zu Gott (Bund).

Die Moral ist nicht in erster Linie Antwort des Menschen, sondern Offenbarung des Planes und des Geschenks Gottes. Mit anderen Worten, für die Bibel kommt die Moral nach der Erfahrung Gottes, genauer nach der Erfahrung, die Gott den Menschen machen lässt als ganz unverdientes Geschenk.

2. Von hier aus gesehen ist das Gesetz selber integraler Teil des Bundes, ist Geschenk Gottes. Ursprünglich ist ‚Gesetz‘ nicht ein juristischer Begriff, der auf
Verhaltensweisen und Haltungen ausgerichtet ist, sondern ein theologischer Begriff, den die Bibel selber am besten wiedergibt mit dem Wort „Weg“: ein Weg, der angeboten wird. Die moralische Unterweisung ist sicher ein wesentlicher Teil der Sendung der Kirche, steht aber doch an zweiter Stelle im Vergleich mit der Aufgabe, das Geschenk Gottes und die spirituelle Erfahrung geltend zu machen; wir tun uns heute manchmal schwer, das in angemessener Weise wahrzunehmen und zu verstehen.


Moral als "Offenbarung des Planes Gottes" (also eher als realitätsverhaftete Vision denn als spröde "Christenpflicht" oder herumgeknirschtes Ja-ich-mach-ja-schon-wenns-halt-sein-muss) und das Gesetz als Konsequenz aus der Gotteserfahrung sehen ... da kommen mir einige Liedverse in den Sinn, die dritte Strophe von Dein Lob, Herr, ruft der Himmel aus:

Die Sonne ist des Himmels Ehr',
doch Dein Gesetz, Herr, noch viel mehr,
das Du uns hast gegeben;
so trostreich, so gerecht und wahr,
so licht und mehr als sonnenklar
erhellt es unser Leben.


Ich glaube, ich ahne jetzt, warum sich der Psalmist über Gesetz, Ordnungen, Gebote, Vorschriften und Satzungen kaum mehr einkriegt. Der hat den Zusammenhang zwischen dem "vorausgehenden Geschenk des Lebens, der Intelligenz und des freien Willens" mitsamt der "bevorzugten, inneren Beziehung zu Gott" einerseits und der Moral andererseits gerafft:

Gratia tua, Domine, plena est terra; *
statuta tua doce me.

Erfüllt ist die Erde, Herr, von Deiner Zuneigung: *
lehre mich Deine Gebote.

Hat kapiert, daß das Geschenke sind. Bei uns ist das so vielleicht nicht im Blickfeld. Und er kriegt von diesem Geschenk einfach nicht genug und dreht und wendet es hin und her ... 22 Strophen lang.

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