Die taz-Leser haben gewählt, Papst Benedikt XVI. hat gewonnen! Noch vor Bush und Merkel. Es ist der „beliebteste taz-Titel in dreißig Jahren“: Oben der Zeitungskopf, darunter eine einzige druckschwarze Fläche, nur durchbrochen links oben im Kleindruck durch „Joseph Ratzinger neuer Papst“ und mittig auf der Seite, schon etwas fetter, mit: „Oh, mein Gott!“ So geht Habemus Papam in der Rudi-Dutschke-Straße 23 in Berlin.
„Wir sind Papst!“ ergänzte Bild. Wir waren auch schon Panzerkardinal. Und Gottes Rottweiler. Hätte der Himmel die Triebe des deutschen Alternativkatholizismus, dessen Pubikum, dessen Forum, dessen aufgeregte Kirche von unten und von links noch schlimmer abstrafen können? Selbstversicherung ist angesagt. Die übt zum Beispiel Bernd Hans Göhrig von der "Initiative Kirche von unten". Vor einiger Zeit postete er den jüngsten Kommentar auf der unterkirchlichen Webseite mit dem Titel „Herr Ratzinger spielt Papst“. Ich habe ihn entdeckt, als einfach mal sehen wollte, ob die Krypta-Katholiken dem verwandten Webangebot in Sachen Aktualität nacheifern. Sie eifern. Göhrig war am 29. Juni aktiv, die Gesamtseite wurde zuletzt vor anderthalb Monaten aktualisiert. Jungs, Mädels, wie stellt ihr euch eigentlich Kirche up to date vor, wenn eure eigene Webpräsenz so taufrisch müffelt wie mein Mülleimer? Doch zur Sache …
Göhrig fährt, nach literarischem Vorgeplänkel, das mutmaßlich den intellektuellen Anspruch der weiteren Ausführungen unterstreichen soll, sofort ordentlich auf und zitiert den Erinnerungsforscher Harald Welzer:
Die Generation der heute etwa Achtzigjährigen sei nationalsozialistisch geprägt worden und bildete zugleich den jüngsten Teil (…) der demokratischen Nachkriegsgesellschaft. Diese doppelte Prägung habe tiefe Spuren hinterlassen. Bei aller intellektuellen Distanz zum Nationalsozialismus kennzeichne sie „eine gewisse Starrheit im Habitus, eine Neigung zur Unbedingtheit, zum Rechthaben, zum Eindeutigen“.
Auf wen könnte Göhrig diese Einsichten anwenden wollen? Auf Hans Küng? Natürlich nicht. Küng ist schließlich nicht nationalsozialistisch geprägt, sondern im kleingeistigen und vermauerten Schweizer „Ghetto-Katholizismus“ (Urs Altermatt) groß geworden. Also dort, wo man sich den Erbteil einer gewissen Starrheit im Habitus, einer Neigung zur Unbedingtheit, zum Rechthaben, zum Eindeutigen schon mit der Muttermilch reingepfiffen hat. Was hier übrigens zwischen „Starrsinn“ und „Rechthaben“ festgestellt wird, dürfte seit unvordenklichen Zeiten zum Erfahrungshorizont aller möglicher Nachgeborenen gehören, sobald man sich mit den Urgroßeltern anlegt. Oder mit Oma und Opa. Oder mit Mama und Papa.
Göhrig zieht eine andere Nutzanwendung: „Doch während sich das säkulare Deutschland (…) langsam, aber sicher von dieser Generation verabschiedet, verankerte sich das Schiff der (…) Kirche mit der Wahl von Joseph Ratzinger 2005 gezielt innerhalb des Diskursrahmens dieser Generation und schlingert seither von einem gefährlichen Fahrwasser ins nächste, weil der päpstliche Steuermann den Umgang mit modernen Navigationsinstrumenten beharrlich verweigert – die alten Karten sind halt doch die besten!“
Zumindest weiß man bei den „alten Karten“ in der Regel, daß man damit das Ziel erreichen kann, denn sonst hätte man das Zeug schon längst ins Altpapier gekloppt. Göhrig kann sich seine neue Kirche in der Welt von heute aber, niemand will ihn daran hindern, gerne weiterhin bei der Lektüre von Gaudium et spes zusammenreimen. Er sollte nur nicht aus dem Blick verlieren, daß im Vergleich zu diesem konzilianten Kartenmaterial jedes plumpsüße und von einer Papierrüsche umrahmte Herz-Jesu-Andachtsbildchen mit Sühneseufzer und Ablassaussicht einen höheren Realitätsbezug aufweist als die lustigen Hoffnungen unserer altvorderen Konzilsväter. Alternativ kann Göring aber auch eines der unzähligen fortschrittlichen Positions- und Arbeitspapiere reanimieren, die sich meistens schon kurz nach der Veröffentlichung als überlebt zeigten. Stoff ist jedenfalls genug da, man muß nur ein wenig in der Wertstoffsammlung wühlen. Altpapier ist auch schon ein Wert an sich.
Womöglich ahnt Göhrig, daß es endlich Zeit wird für ein echtes Hammerargument: „Dabei kommt der alte Herr durchaus nett daher – und Nettigkeit ist eine gern gesehene Eigenschaft älterer Menschen: Eine alte Tante ist nett, wenn sie den Kindern eine Tafel Schokolade mitbringt. Ein alter Onkel ist nett, wenn er das Spielzeug seiner Enkel repariert".
"Und 'nett' ist die kleine Schwester von 'scheiße'", möchte man Göhrig in Erinnerung rufen. Bei der Lektüre dieser Passage kam mir, aber das nur nebenbei, das Wort "Altersdiskriminierung" in den Sinn. Doch geben wir Göhrig noch etwas Raum, auf daß sich dessen Gedanke in seiner gesamten Pracht entfalten könne:
"Auch Joseph Ratzinger lächelt nett, doch seine Nettigkeit verbirgt mehr, als dass sie etwas gibt (…). Das listige Funkeln seiner Augen sagt eher: „Ich habe es geschafft und ihr könnt mir gar nichts“, und: „Jetzt darf ich machen und sagen, was ich will“.
Wow! Das sitzt! Herr Göhrig ist endlich in der Combat-Klasse angekommen. 9 Millimeter Magnum. Mindestens. Durchgeladen. Peng. So knallt man dem Papst eine vor den Latz. So bringt man den römischen Gängel gekonnt zur Strecke. Warum Argumente auffahren, wenn man andere quasi physionomisch so schön diffamieren kann?
Heißt es denn nicht zurecht, daß die Augen ein Spiegel der Seele seien? Nicht von ungefähr kritzelte man weiland Juden nicht nur krumme Nasen und dicke Lippen, sondern vor allem auch einen verschworenen Blick in's Gesicht - in den Stürmer-Karikaturen allemal. So kann man offenbar - etwas mehr auf die sanfte Tour meinethalben - auch heute mit Päpsten umspringen: Listiges Funkeln in den Augen - dafür hat Göhrig offenkundig den Scharfblick wie durch ein Zielfernrohr ... ja, das Auge ein Spiegel der Seele. Benedikts Lächeln: irreführend. Verschlagen? Hinterfotzig? Benedikts Nettigkeit: auf jeden Fall undurchsichtig. Göhrig kann auf diese Tour gleich zwei wichtige Einsichten rund um Benedikt rauspopeln. Einerseits ist der Papst ein egomanischer und unkollegialer Spieler, Motto: "Ätschbätsch, bei dem Spiel bin jetzt ICH der Bestimmer". Und ferner: Trau keinem über Achtzig, der eine weiße Soutane trägt und dich anlächelt.
Cum grano salis gesagt: Unter den Barbaren der jüngeren Vergangenheit galt sinngemäß die Parole "Schau und trau keinem Juden". Bei Göhrig und seinem Kirche-von-unten-Club heißt das heute dann wohl: "Schau und trau bloß nicht diesem Papst". Unterm Strich mögen die einen dabei ihre Herzen zu einer Mördergrube gemacht haben, während die anderen den Heiligen Vater nur als einen tatteligen Greisen mit Allmachtsphantasien vorführen wollen. Methodisch sind sich beide keineswegs fremd, um an's jeweilige Ziel zu gelangen.
Ich kann verstehen, daß Freude am Glauben auf jene verdächtig wirken muß, die am Glauben selbst keine Freude haben. Ich kann hingegen nicht verstehen, wie man darob so einen Mist verzapfen kann. Herr Göhrig sollte sich schämen.
Fortsetzung folgt.
1 Kommentar:
"Göhrig" klingt ja fast schon nationalsozialistisch.
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