Montag, 18. Januar 2010

Lectiones Liturgicae: Nicht der Mensch prägt die Liturgie, sondern die Liturgie prägt den Menschen


"Die strenge Liturgie ist jene Form des religiösen Verhaltens, in der sich das Objektive am stärksten manifestiert. Ihr steht als Gegenpol jene gegenüber, die von einem Höchstmaß subjektiver Haltung getragen ist: die persönliche religiöse Versenkung, der Ausdruck eigenen Erlebens, besonderer Veranlagungen, Nöte, Schicksale. (...)

Liturgische Gebetshaltung ist form- und gegenstandsgebundener Ausdruck der Seele im Leib; Ausdruck des Menschlichen in den Dingen, Ausdruck des Einzelnen in der Gemeinschaft und durch sie - alles aber in der gegenständlichen Haltung, für die subjektives Wünschen, Fühlen, Erleben hinter Sein, Wirklichkeit, Wesen zurücktritt. (...)

Nicht irgend etwas soll ausgedrückt werden, sondern das Richtige: das wahre Wesen des Menschen. Die richtigen Gesinnungen; nicht, wie sie beliebig erwachen, sondern wie sie sein sollen. Die rechten Gefühle; nicht alle, die auftauchen, sondern solche, die würdig sind, vor Gott ausgesprochen zu werden.

Wie wird aber der Mensch wesensgerecht? (...) Wenn er nach dem Bilde dessen geformt wird, der 'der Weg und die Wahrheit und das Leben' ist: Christus. (...) Das Wesen des geschaffenen Menschen erwacht erst dann zur Klarheit, wenn er in sein lebendiges Urbild eingeht und ihm darin das Sein durchformt, das Wirre geordnet, das Falsche ausgeschieden, das Tiefe, Gebundene befreit, das rechte Verhältnis hergestellt wird.

Die Liturgie ist Selbstausdruck des Menschen, aber des Menschen, wie er sein soll.

So wird sie ihm zu strenger Zucht. Der Mensch der Oberfläche mag liturgisches Beten leicht als 'unwahrhaftig' empfinden, denn jener, der in der Liturgie spricht, ist der tiefe, wesenhafte Mensch. (...)

Die Liturgie ist Selbstausdruck des Menschen. Aber sie sagt ihm: eines Menschen, der du noch nicht bist. So hast du in meine Schule zu gehen. Erst mußt du werden, der du sein sollst. Bis dahin muß deine Wahrhaftigkeit vor allem eine solche der Einsicht, des Gehorsams und der Zucht sein, nicht des spontanen Empfindens. Aber im Maße, wie du es wirst, (...) wird deine Wahrhaftigkeit auch eine solche des ursprünglichen Empfindens.

Ausgedrückt wird dieser Inhalt nicht in willkürlichen, sondern in wesensgemäßen Worten und Gebärden. Ihnen fehlt wohl die ursprüngliche Frische aus besonderer Stimmung erwachsenen Ausdrucks, das ist wahr. Mit solchen verglichen, sind sie ganz beruhigt, gehalten. Jene Ursprünglichkeit wird nicht abgelehnt; sie gehört in das Gebiet des subjektiv-bestimmten Verhaltens, das die Liturgie durchaus anerkennt, ja voraussetzt.

Die Liturgie selbst aber will Anderes. Wie das wahre Wesen des Inhaltes, holt sie auch das überzeitliche Wesen des Ausdrucksstoffes, des Wortes, der Geste, des Körpers hervor".

aus: Romano Guardini, Liturgische Bildung - Versuche

Guardinis Schrift Liturgische Bildung - Versuche erschien erstmals 1923. In den Jahren des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde eine überarbeitete Neuauflage publiziert. Dazu schrieb Guardini im Vorwort: "Die Reformbeschlüsse des Konzils machen eine vertiefte Behandlung aller Probleme einer liturgischen Erziehung aufs neue dringlich". So punktgenau der Autor die Herausforderung seiner Zeit erkannte, so radikal und leichtfertig hat die faktische Umsetzung der "Liturgiereform" dessen Mahnung über Bord geschmissen. Guardini mußte das nicht mehr erleben. Er starb 1968.

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