Samstag, 2. Oktober 2010

Himmlische SchuPo?


Schutzengel - Heiliggeistkirche, Basel

Zeitungsmeldungen à la "Vierjähriges Mädchen stürzte aus fünftem Stock und überlebte fast unverletzt" sind wahrscheinlich jedem von uns gelegentlich unter die Augen gekommen. Frommer Sinn denkt sich dazu, daß dem Mädchen ein ordentlicher Schutzengel zur Seite gestanden haben dürfte. Nur frommer Sinn? Selbst der Rest der Welt "glaubt" gelegentlich irgendwie an Schutzengel. Die Vorstellung, daß da irgendetwas sei, was über uns wacht, daß uns irgendein überirdisches update des Herrn Kaisers von der Hamburg-Mannheimer aus allem Unbill des Lebens rettet, scheint zu tröstlich, zu hilfreich, zu schön, um falsch zu sein: Schutzengel als virtueller Glückspfennig.


Was aber, wenn das vierjährige Mädchen aus dem fünften Stock stürzt und am Boden zerschellt? Wo war der Schutzengel? Heißt es nicht im Graduale der heutigen Messe, Gott habe seine Engel befohlen, den Menschen auf all seinen Wegen zu schützen, ihn auf Händen und Sorge zu tragen, daß dessen Fuß niemals an einen Stein stoße (Ps 90, 11-12)? Und prompt ist das Bild wieder präsent, welches früher in vielen Kinderstuben herumhing: Bübchen und Mädchen wandern in finsterer Schlucht und über tiefe Abgründe und über allem wabert ein Engel: Schutzengel als himmlische SchuPo (auch wenn es manchmal schief geht) ...


Immerhin kann dieses Verständnis auf einen bekannten Exegeten verweisen. Mit genau dieser Stelle aus dem 90. Psalm argumentiert der Teufel bei der Versuchung Jesu in der Wüste (Mt 4, 1-11).


Ich habe nichts gegen die Vorstellung, daß Schutzengel den Menschen als virtuelle Glückspfennige oder als SchuPo zur Seite stehen, selbst wenn man mit dieser Idee böse Schiffbruch leiden kann - denn schließlich scheinen manche Schutzengel einen elend schlechten Job zu machen. Ich fürchte aber, daß diese Vorstellung erdrückend jene Idee überlagert, welche die eigentliche Aufgabe der Schutzengel umschreibt: 


Es sind Engel, uns zur Seite gestellt, um vorrangig unser letztes Ziel zu erreichen: Denn der Ort, den Gott uns bereitet hat und an den der Engel uns führen soll (Ex 23,20), ist sicher nicht das Sofa im Wohnzimmer, zu dem wir abends behütet zurückkehren sollen. Hier geht es nicht um unser irdisches Leben, sondern - et vitam venturi saeculi - um das Leben der kommenden Welt. Hier steht der Schutzengel in einer dauernden Spannung mit unserem Willen, nicht von ungefähr fährt die Tageslesung mit der Mahnung fort: "Habe acht auf ihn, höre seine Stimme. Sei gegen ihn nicht widerspenstig".


Der Schutzengel bezieht sich also nur insofern auf das Heute, als hier immer auch die Weichen für das ewige Leben gestellt werden. In diesem Sinne ist er eine gleichsam eschatologische Gestalt, bezieht er sich auf die letzten Dinge des Menschen und auf den damit verbundenen Ernst:


"Laßt uns zum Engel schauen, wenn auf dem letzten Gang
durch Todesnot und Grauen wird unserm Herzen bang.
Er wird die Flügel breiten und uns aus dem Gericht
in Frieden heimgeleiten vor Gottes Angesicht"

(Marie Luise Thurmair, GL 607, Strophe 4).

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