Sonntag, 22. Mai 2011

Vom Geist geführt - Gedanken zu Joh 16, 13

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"Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
so wird er euch in die ganze Wahrheit einführen"
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(aus dem Evangelium
des vierten Sonntags nach Ostern
alter Ordnung - Joh 16, 13).
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Der Anspruch des Glaubens ist eigentlich eine Unverschämtheit. Was soll man nicht alles glauben! An einen Gott in drei Personen. An die jungfräuliche Unversehrtheit der, ja eben, Mutter - und dazu noch der Mutter Gottes. Und an deren "Himmelfahrt" obendrein. Auch soll man glauben, daß ein kleinen Stück Brot und ein Schluck Wein der Leib und das Blut Christi seien, nur weil ein Priester einige Worte darüber murmelte. Die Liste ließe sich fortsetzen, man muß nur im Katechismus blättern. Kann all das wahr sein? Manchmal befallen mich Zweifel. Nicht an der ganzen Geschichte. Es ist kein "atheistischer" Zweifel, keine Versuchung, alles "Metaphysische" in Bausch und Bogen zu verneinen. Die Existenz Gottes anzunehmen scheint mir selbst im Moment des Zweifels immer noch vernünftig. Aber das ganze Drumherum? Diese Dogmen und Definitionen? Hat all das wirklich noch etwas mit dem zu tun, was der Mann aus Nazareth gesagt und gelebt hat? 
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Zu den Disziplinen der Theologie gehört die Dogmengeschichte. Das Ringen um Glaubenssätze, die Ausbildung des kirchlichen "Lehrgebäudes" ist ein spannendes Thema. Doch sie kann die Seele vergiften, wenn Dogmengeschichte nur in der Horizontalen getrieben wird - als nur kritische Fachanalyse von Lehrentwicklungen auf dem Hintergrund der Geschichte, der Soziologie, der Anthropologie, der Mythologie etc. Am Ende riecht alles nach reinem Menschenwerk, dem vorder- wie hintergründig kaum noch etwas gemein scheint mit dem, was eben jener Mann aus Nazareth gesagt und gelebt hat (oder gesagt und vorgelebt haben soll, denn des Zweifels ist irgendwann ohnehin kein Ende mehr).
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Das Evangelium des heutigen Sonntags kann dem ermatteten Glauben aufhelfen. Denn es sagt uns zum einen, daß der Glaube sozusagen mehr sein wird als das, was der Mann aus Nazareth etc. etc. etc. Das Evangelium verheißt uns zum anderen einen Beistand, der mit keinem geringeren Titel als dem eines "Geistes der Wahrheit" angekündigt wird. Und es deutet zuletzt an, daß sich die Zuhörer auf einen Weg machen werden - unter der Leitung und Führung eben dieses Geistes. 
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Interessant sind - das nur am Rande - die Adressaten dieser Verheißung aus den Abschiedsreden Jesu. Es sind nicht Worte der Bergpredigt oder aus einem anderen Kontext, in dem sich Christus an das Volk wendet. Die Worte gelten seinen "Jüngern" - im konkreten Fall: den Aposteln. Heute sagen wir: Die Worte gelten - in nuce - der Kirche, deren "Gründungsdatum" nicht von ungefähr mit dem Kommen eben jenes verheißenen Geistes der Wahrheit zusammenfällt - jenem Anfangsmoment, der aus einem verschreckten apostolischen Häuflein eine Task-Force der Evangelisierung schafft.
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Unterschwellig wird deutlich, daß vor den Jüngern - vor der Kirche - ein Weg liegt. Mit der Rede von einem Geist, der "leitet" oder "einführt", wird zugleich eine "Prozeßhaftigkeit" beschrieben. Man ist, cum grano salis, versucht zu sagen, Jesu Wort und Handeln sei eben nicht der Weisheit letzter Schluß. Es bedarf der Entfaltung durch die Kirche, die auf einen Weg geschickt wird - allerdings mit der Versicherung, daß es kein Holzweg sei, denn als Gabe, als Geschenk gibt es den "Geist der Wahrheit" dazu: Auf ihn darf sich die Kirche unbedingt verlassen, wenn sie diesen Weg beschreitet. Das Ziel besteht darin, immer tiefer in die Wahrheit einzudringen - in das Geheimnis Gottes, in diese letzte Antwort auf unsere Fragen, unsere Zweifel, unser Sehnen, unsere Erwartungen. Er kommt uns dabei entgegen - in Seinem Geist und, am Ende der Geschichte, in seinem letzten, großen Kommen. 
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Die Wahrheit ist, jedenfalls im Wortsinn des griechischen Begriffs alétheia, das "Nicht-Verborgene". Die Sprache des Neuen Testaments gibt uns - wenngleich etwas um die Ecke gedacht - einen weiteren Hinweis darauf, daß wir von Christus zu wenig wissen, wenn wir ihn nur auf einen Wanderprediger mit warmen Worten und Gleichnissen reduzieren. Die Modefrage, was Jesus heute tun würde, lebte er in unserer Zeit, diese Frage, die, nebenbei bemerkt, allzu gerne einen "Jesus der Geschichte" gegen einen "Christus des Glaubens" ausspielt, kann und darf nicht allein durch einen reduzierenden Rekurs auf den historischen Jesus beantwortet werden. Zur Antwort gehört auch das, was uns seither in der Teilhabe am Mysterium Christi deutlich geworden ist. Und zur Antwort gehört auch das, was uns jetzt noch nicht deutlich geworden ist - der große Vorbehalt der Vorläufigkeit unseres Erkennens, bei dem es allerdings kein Zurück hinter das bereits Erkannte geben kann, wollten wir nicht des Geistes spotten, welcher der Kirche verheißen ist. Denn es gilt: Vor uns liegt das "Nicht-Verborgene", welches für uns freilich zu Teilen "noch" verborgen ist, solange wir auf dem Weg sind, geleitet vom Geist. Mit seiner "Ein-Führung" "ent-deckt" die Kirche seither den Glauben. Manches wird ihr - nach und nach - deutlicher, anderes konnte sie bereits in die klärende Form des Dogmas fassen, den "Geist der Wahrheit" im Rücken.
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Und was ist nun mit dem Stück Brot, dem Schluck Wein? Christi Leib? Christi Blut? So lehrt es die Kirche. Wahrhaft. Wirklich. Wesenhaft. Transsubstantiation. Definiert. Dogmatisiert. Theoretisch ein schöner Gedanke, faktisch jedoch nicht leicht zu verdauen. Was aber sagte der Herr zu seinen Jüngern unmittelbar vor dem oben genannten Vers ... "Noch vieles hätte ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen" (Joh 16, 12) ...? Offenkundig ist es ein nicht ganz schlechtes Zeichen, wenn manches schwer "erträglich" scheint - oder schwer "erträglich" ist. 

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