Montag, 20. Juni 2011

Pro Multis 2

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Theodor hat auf Summa Summarum meine Replik seinerseits aufgegriffen. Die Frage nach der rechten Verdeutschung der Konsekrationsworte ist spannend genug, daß ich meinerseits wiederum auf die Einwände eingehen möchte. Ich denke, wir sind uns alle einig, daß es hier nicht darum geht, auf Biegen und Brechen Recht zu haben. Allerdings plane ich keineswegs, mir meinen eigenen Glauben zu basteln, statt mir den Glauben von der Kirche schenken zu lassen. In Bezug auf das von Theodor angeführten Gründonnerstagsschreiben des sel. Johannes Paul gilt, daß die ordentliche und gewöhnliche Form der päpstlichen Lehrtätigkeit nicht unfehlbar ist. Bestenfalls könnte zur Untermauerung des verpflichtenden Gehalts dieser päpstlichen Darlegung die Ausführungen von Pius XII. seligen Angedenkens in Humani generis 568 (Denzinger Ed. 37 Nr. 3885) herangezogen werden, doch ist es höchst fraglich, ob in diesem Fall die gewählte Form genügt und ob für diesen Fall überhaupt eine offenkundige Dissenssituation im Sinne des Humani generis-Passus vorgelegen hat. 
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Fakt ist freilich, daß unser heutiger Heiliger Vater die Übersetzungsfrage weniger freizügig beurteilt als sein Vorgänger, denn einen triftigen Grund für den Wunsch Benedikts XVI. dürfte es gewiß geben, auch wenn sich der Heilige Vater meines Wissens bislang nicht ausführlich dazu erklärt hat. Ich meinesteils widerspreche den Ausführungen des sel. Johannes Paul in dieser Frage zweifelsohne, nicht zuletzt, weil der Selige nachgewiesenermaßen Allaussöhnungstheorien nahe stand, die früher von der Kirche eindeutig verurteilt wurden (cf. Dörmann, Johannes: Johannes Paul II. Sein theologischer Weg zum Weltgebetstag der Religionen in Assisi. Neuauflage Stuttgart 2011). Womöglich müssen die Darlegungen in besagtem Gründonnerstagsschreiben auch auf diesem Hintergrund gesehen und kritisch gewürdigt werden. Da also dem Gründonnerstagsschreiben keine Letztverbindlichkeit eignet und damit verschränkte theologische Präferenzen des Verfassers nur schwer in Kontinuität zur kirchlichen Tradition zu setzen sind, erachte ich die Frage, ob pro multis legitim mit "für alle" übersetzt werden kann, formal keineswegs für erledigt.
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Ich komme nun zu weiteren Punkten, die Theodor angeschnitten hat:
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(1) In einem eigenen Beitrag verweist Theodor anhand einer Paulus-Stelle (Röm 5, 18-19) auf das Argument, es könne nach einer "typisch semitischen Ausdrucksweise" keine eindeutige Unterscheidung zwischen "viele" und "alle" getroffen werden. Soweit ich die Lage übersehe, liegt der Ursprung dieser Behauptung beim von mir bereits nebenbei erwähnten lutherischen Exegeten Joachim Jeremias. Jeremias Hebräismus-These, an die das Gründonnerstagsschreiben offenkundig anschließt, ist allerdings zwischenzeitlich mindestens umstritten. Und für den, der sich auf die Argumentation der Prosinger'schen Lizenziatsarbeit (Prosinger, Franz: Das Blut des Bundes - vergossen für viele? Quaestinones non disputatae 12, Siegburg 2007) verlässt, dem gilt sie als widerlegt. Aber nehmen wir an, die sprachwissenschaftlich orientierte Hebräismus-These würde zu den möglichen Analysetools zählen (schließlich legt gerade Röm 5, 18-19 dies vordergründig nahe). Dann könnte man ebenso mit Fug und Recht die Prinzipien einer rhetorischen Textanalyse geltend machen und vortragen, die Passage sei tetrakolisch gebaut (was sie übrigens, wie unschwer zu erkennen, in der Tat ist) und Paulus schreite in seiner Argumentation dabei vom Allgemeinen zum Besonderen. So gesehen steht doch eher folgende Frage im Raum: Kann es sein, daß der Verfasser bei der Wortwahl einerseits schludert, wenn es sich andererseits um eine Aussage handelt, die ihm offenkundig so wichtig ist, daß er sie stilistisch besonders verpackt? Oder deuten sich hier - das ist jetzt, zugeben, sehr spekulativ - nicht jene beiden Kontrapunkte an, die sich später in der Lehre der Kirche (mehr dazu später) als "objektive Universalität der Erlösung" und "subjektive Rechtfertigung" entfalten werden? Wie dem auch sei: Man muß dieser philologischen Betrachtung nicht zwingend folgen. Es geht mir nicht darum, dieser heiklen paulinischen Aussage auf die Schliche zu kommen, sondern zu zeigen, wie relativ philologische Argumente sein können, ganz gleich, ob mit "typisch semitischen Ausdrucksweisen" oder mit Methoden einer rhetorischen Textanalyse hantiert wird. Am besten scheint es da immer noch, möglichst wörtlich zu übersetzen, was dasteht, als womöglich auf den wankenden Bohlen einer interpretierenden Nachdichtung auszurutschen.
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(2) Mein Gedankengang, der von der Mysterientheologie seinen Ausgang nimmt, ist fürwahr spekulativ. Wie so ziemlich das ganze Thema. Oder zumindest die Frage, ob man "für alle" an einer bestimmten Stelle übersetzen kann, auch wenn dort originär pro multis und eben nicht pro omnibus dasteht.
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(3) Natürlich hat Christus die ganze Welt erlöst, ist sein Blut für alle Menschen geflossen. Vielleicht ist es gut, hier ein wenig Ordnung in die Begriffe zu bringen. Es muß zwischen Erlösung im objektiven und im subjektiven Sinn unterschieden werden: 
Erstere ist das Werk des Erlösers, letztere (auch Rechtfertigung genannt) ist die Verwirklichung der Erlösung im einzelnen Menschen oder die Zuwendung der Erlösungsfrüchte an den einzelnen Menschen (Ott, Ludwig: Grundriß der Dogmatik. Freiburg 1981, 213).
Die "universale Realität" der Erlösung, von der Theodor schreibt, kann nur auf erstere bezogen werden, und so verstehe ich Theodor auch: 
Die Universalität der stellvertretenden Genugtuung Christi ist nur auf die objektive Erlösung zu beziehen: Christus hat für alle Menschen ohne Ausnahme hinreichende Sühne geleistet. Die subjektive Aneignung der Erlösungsfrüchte ist jedoch von der Erfüllung gewisser Bedingungen abhängig (...). Die Scholastik unterscheidet demgemäß zwischen sufficentia (Hinlänglichkeit) und efficacia (Wirksamkeit, Erfolg) der Genugtuung und lehrt, daß Christus secundum sufficentiam für alle Menschen Genugtuung geleistet hat, nicht aber secundum efficaciam. Mit anderen Worten: In actu primo ist die Genugtuung Christi universell, in actu secundo ist sie partikulär" (Ott, 228).
In actu secundo ist sie eben doch, und hier widerspreche ich Theodor, ein Angebot, dem sich der Mensch verweigern kann. Oder das er annehmen kann. Dem widerspricht übrigens nicht einmal Karl Rahner, wobei nach Rahner - ein interessanter Gedanke - die objektive Erlösung erst die Voraussetzung schafft, die den Menschen in Freiheit in die Lage versetzt, dieses Angebot anzunehmen (vgl. Rahner, Karl: Erlösung in: Rahner, Karl (Hrsg.): Sacramentum Mundi. Freiburg 1967, 1162). Gott erlöst jedenfalls niemanden gegen dessen Willen.
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Da nun die Heilige Messe nicht nur die höchste Form der Gottesverehrung, sondern auch mystische Vergegenwärtigung des Reiches Gottes in der Zeit und Zuwendung der Erlösungsfrüchte an jene ist, die ihre Herzen der Erlösung geöffnet haben und damit ihren Teil zur Vollendung des Erlösungswerkes beitragen, deswegen ist es angebracht, bei dieser Feier - wortgetreu zu den biblischen Einsetzungsberichten - über den Kelch die Worte vom "Blut, das für euch und für viele vergossen wird" zu sprechen. Denn es sind eben - leider - nicht "alle", die sich dem Heil Gottes öffnen und hierdurch erlöst werden, wiewohl auch für sie das Blut Christi vergossen worden ist. Aber es sind "viele", die mit der Feier der heiligen Eucharistie von Gott unmittelbar angesprochen werden und die in diesem Augenblick bereits des Reiches Gottes, welches in der Feier der Eucharistie gegenwärtig wird, und der Liturgie des Himmels teilhaft werden, weil sie dessen teilhaft werden wollen und das Ihre dazu tun in Glaube, Hoffnung und Liebe. 
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Fassen wir zusammen: In den Konsekrationsworten sollte pro multis mit "für viele" übersetzt werden, da diese Übersetzung wortgetreuer als "für alle", liturgisch richtig, dogmatisch passend und eschatologisch treffend ist. Meinethalben kann man auch "für alle" übersetzen, obwohl man damit den biblischen Test unnötig interpretiert, die liturgische Situation verfehlt, bei Hintergedanken an Allversöhnungstheorien mit dem Dogma kollidiert und eschatologisch nichts daran ändern wird, daß einige (wenige? viele? alle?) ihr Ziel verfehlen werden, weil für sie der Herr sein Blut vergeblich vergossen hat. Warum also zur zweitbesten Übersetzung greifen?

2 Kommentare:

Der Predigtgärtner hat gesagt…

Sehr gut formulierter, interessanter Beitrag. Gerade habe ich darauf verlinkt.

Matthias Claudius hat gesagt…

"da diese Übersetzung wortgetreuer als "für alle", liturgisch richtig, [...] ist."

Einspruch: Der Einsetzungsbericht spricht vom Willen des Herrn. Dieser ist fraglos der, für alle zu sterben.
Die Stelle in der hl. Messe, an der seit frühester Zeit darauf hingewiesen wird, dass es Leute gibt, die dazugehören und solche, die möglicherweise nicht dabei sind, ist vor der (oder um die) Spendung (s. 1 Kor. 11, Didache u.a.).